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06.08.2019
Der nächste Rücktritt vom Leistungssport – (jetzt mit TV-Beitrag)
Georgina Schneid beendet ihre erfolgreiche Karriere
Vom 22. bis 27. Juli 2019 fand die 10. Leichtathletik-Europameisterschaft der Gehörlosen im Lohrheidestadion in Bochum-Wattenscheid statt. Unter den zehn deutschen Athleten war auch Georgina Schneid aus der Trainingsgruppe des TSV Vaterstetten. Diesmal aber zum letzten Mal.
Nach dem Rücktritt von Guido Müller (--> wir berichteten) muss die Leichtathletik-Abteilung des TSV Vaterstetten innerhalb kurzer Zeit einen zweiten Rücktritt eines Aushängeschilds hinnehmen. Georgina Schneid (29), aus der Vaterstettener Trainingsgruppe von Florian Cucu, hat nach der jüngsten Gehörlosen-EM ihren Rücktritt vom Leistungssport bekanntgegeben. Georgina hat über viele Jahre hinweg nationale und internationale Erfolge im Gehörlosensport verzeichnet. Bei Wettkämpfen der Gehörlosen war sie stets für den GSV München angetreten, wenn sie an Wettkämpfen der Hörenden teilnahm, lief sie im Trikot des TSV Vaterstetten auf.
Über ihren letzten Einsatz im Nationaltrikot (siehe auch TV-Beitrag in der BR-Mediathek) berichtet sie wie folgt:
„Nach meinem Misserfolg bei den Deaflympics in Samsun (Türkei) 2017, bei den ich mir einen Muskelfaserriss am Oberschenkel zugezogen hatte (--> wir berichteten, Anm. der Redaktion), wollte ich den Leistungssport nicht aufgrund einer Verletzung beenden. Ich hatte das Gefühl, dass ich noch nicht am Ende war, und wollte mit meiner Staffel-Nationalmannschaft dort weitermachen, wo wir in Samsun durch meinen Muskelfaserriss „aufgehört“ hatten. Also bereitete ich mich auf meine vierte EM-Teilnahme seit 2007 vor.
Gleich am ersten Wettkampftag war ich im 100-m-Vorlauf an der Reihe. Überraschenderweise lief ich mit der Saisonbestleistung von 13,27 Sek. ins Ziel. Das habe ich mein Selbstwertgefühl für den kommenden Staffellauf zurückgewinnen können, was aufgrund schwieriger Prozesse in diesem Jahr (zum Beispiel eine erneute Verletzung) gelitten hatte.
Erst am letzten Wettkampftag stand fand die 4x100-m-Frauen-Staffel an. Schon drei Wochen vorher hatte die Bundestrainerin während des Nationalkader-Lehrganges in Zinnowitz an der Ostsee bekanntgegeben, dass ich die Startposition übernehmen werde.
Nach dem grünen Ampellicht (spezielle Startsignale für Gehörlose) lief ich schnell los. Die Staffelübergabe an Delia Gaede (GSV Herford) verlief reibungslos und vertraut. Als Delia den Stab weiter an Hannah Peters (GSTV Essen) an Position drei übergab, sah es so aus, als ob wir auf dem Weg zur Bronzemedaille waren. Doch Nadine Brutscher (GSV München) konnte als Schlussläuferin nach einem sehr starken Schlusssprint die vor ihr mit großem Abstand laufende Ukrainerin noch überholen. Mit einem hauchdünnen Vorsprung von zwei Hundertstelsekunden gewannen wir die Silbermedaille hinter den Sprinterinnen aus Russland.
Unglaublich groß war dann die Freude – nicht nur bei uns, sondern auch bei den Ersatzläuferinnen (Sheila Schlechter/GSV Herford und Luisa Herud/Schwerin SC), Betreuern und Familien. Das Beste: Unsere Zeit von 48,92 Sek. ist die zweitschnellste jemals gelaufene Zeit einer deutschen Frauen-Staffel. Sie bescherte uns die erste internationale Medaille über 4x100 m nach zwölf Jahren. Und damals, 2007 in Sofia, war ich auch dabei, als die Medaille geholt wurde.
Wir haben niemals damit gerechnet: WIR SIND VIZE-EUROPAMEISTERINNEN! Das Gefühl war einfach unbeschreiblich schön und die Freude war nicht zu toppen. Sie ist immer noch zu spüren und wird auch lang bestehen.
In der Medaillenwertung belegte Deutschland den sehr guten 4. Platz (die Russen holten 17 Mal Gold in 38 Disziplinen) hinter Russland, Ukraine, Weißrussland und vor Litauen, Polen – alles osteuropäische Länder. Die deutsche Erfolgsbilanz war:
- 1x Gold (Alexander Bley, 3.000 m Hindernis)
- 3x Silber (Alexander Bley, 1.500m / Nadine Brutscher, 100 m Hürden / 4x100-m-Staffel Frauen)
- 1x Bronze (Christoph Bischlager, Diskuswurf)
Nun möchte ich mich nach 15 Jahren mit einem lachenden und weinenden Auge vom Leistungssport verabschieden. Letztendlich habe ich mir wirklich keinen besseren Abschied von meinem Leistungssport vorstellen können, auch wenn er emotional und tränenreich war. Gerne blicke ich auf eine lange Sportkarriere zurück. Das Schöne daran ist, dass ich bei meiner ersten EM-Teilnahme in Sofia vor 12 Jahren eine Silbermedaille in der 4x100-m-Staffel gewonnen habe und bei meiner letzten EM-Teilnahme in Bochum-Wattenscheid die gleichfarbige Medaille in der gleichen Disziplin erleben mitnehmen darf.
Der Leistungssport hat mein Leben stark geprägt und ist auch ein Teil meiner Identität geworden. Dabei werde ich alle Erlebnisse, alle Höhen und Tiefen, unzählige Erfahrungen und lieb gewonnene Sportler für immer in meinem Herz tragen. Dafür bin ich dankbar. Auch wenn es mir schwerfällt – aber man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.
Ich bedanke mich bei meinem großartigen Staffel-Team sowie dem tollen Leichtathletik-Team. Auch möchte ich zunächst meine Familie, meinen Heimtrainer vom TSV Vaterstetten Florian Cucu, dem Fitness-Studio in.punkto und allen Personen herzlich danken, die immer an mich geglaubt haben, mich jederzeit unterstützt haben und mit mir gefiebert haben.
Es sind einfach zu viele Namen – nichtsdestotrotz möchte ich, Hand aufs Herz, sagen: Danke für alles! Der Wirbelwind (so nennt mich die Ebersberger Zeitung immer) sagt nun Goodbye!“
--> zum TV-Beitrag über die Gehörlosen-EM mit Georgina Schneid in der BR-Mediathek